Deutsche zweifeln am Kapitalismus

Die Frankfurter Allgemeine Zeitung titelte in ihrer Ausgabe vom 21. Januar 2020: „Deutsche zweifeln am Kapitalismus“. Dies gehe aus dem „Trust Barometer“ der Kommunikationsagentur Edelmann hervor, die hierfür 34.000 Personen befragt hatte. Danach seien 55 Prozent der Befragten der Auffassung, dass der Kapitalismus in seiner derzeitigen Form mehr schade als helfe. Nur zwölf Prozent der Deutschen glaubten nach dieser Umfrage, dass das System ihnen nütze!


Wenn ein so erheblicher Teil der Deutschen der Auffassung ist, dass das herrschende Wirtschaftssystem ihnen nicht nütze, dann ist das bemerkenswert. Mehr noch: es ist erschütternd. Die wirtschaftspolitischen Ideen der siebziger Jahre des vergangenen Jahrhunderts scheinen wieder aufzuleben. Ihnen liegt die Überzeugung zugrunde, dass der Staat – indem er aktiv in das Marktgeschehen eingreift – wirtschaftliche Probleme besser lösen kann als der Wettbewerb. Damit wird der Sozialismus im Grunde zu einer guten Idee, die nur schlecht ausgeführt wurde. Die historischen Erfahrungen lehren das Gegenteil.

Der Sozialismus hat praktisch noch nie dauerhaft funktioniert

Wohin man schaut, gleich, um welches ehemals sozialistische Land es sich handeln mag, sieht stets ein ähnliches Bild: heruntergewirtschaftete Volkswirtschaften, niedriger Lebensstandard, ausgebeutete Natur mit gewaltigen Umweltschäden, von den teils entsetzlichen Verbrechen und Menschenrechtsverletzungen ganz zu schweigen.

Und: Zieht sich der deutsche Staat tatsächlich aus dem Wirtschaftsleben zurück? Überlässt er das Leben der Menschen tatsächlich zunehmend den bösen „kapitalistischen“ Kräften?

Marktwirtschaften ermöglichen soziale und ökologische Ziele

Die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Die Staatsquote in Deutschland (Ausgaben des Staates in Relation zum Bruttoinlandsprodukt) liegt seit Jahren konstant bei ca. 45%. Die Ausgaben des öffentlichen Gesamthaushalts betrugen 2018 901 Mrd. Euro – so hoch wie noch nie. Die Ausgaben des Bundes betrugen 2019 343 Mrd. Euro – so hoch wie noch nie. Seine Investitionen lagen 2019 bei 38,1 Mrd. Euro – so hoch wie noch nie. Die Bundeszuschüsse zur Rentenversicherung betrugen 2019 über 100 Mrd. Euro – so viel wie noch nie. Die Sozialausgaben betragen nun jährlich etwa eine Billion Euro (eintausend Milliarden!). Sie wachsen weiter.

Die Liste ließe sich fortsetzen. Der Eindruck eines sich zurückziehenden Staates hält den Fakten nicht stand. Vielleicht muss man sogar die Frage stellen, ob hier nicht des Guten zu viel getan wird. Wir müssen uns eher die Frage stellen, ob dies auch zukünftig noch finanzierbar ist.

Die soziale Marktwirtschaft ist ein erfolgreiches Gesellschaftsmodell

Mit anderen Worten: Unser heutiger „Kapitalismus“ in Deutschland ist in seiner Ausprägung als soziale Marktwirtschaft ein sehr sanftes Modell. Wohlstand und Umweltschutz sind bisher nur in marktwirtschaftlich organisierten Gesellschaften für breite Bevölkerungsschichten erreicht worden. Marktwirtschaft, Unternehmergeist und das Recht am Eigentum stimulieren schöpferische Kräfte und Innovation. Auch ärmeren Bevölkerungsschichten geht es in Deutschland deutlich besser als vor Jahrzehnten. Die soziale Marktwirtschaft versucht einen Ausgleich verschiedener Interessen und federt soziale Härten ab. Sie ist ein tragfähiges und bewährtes Modell für unser Land.

Der Autor Andreas Moschinski ist Professor für Finanzen/Controlling an der Hochschule Koblenz und Geschäftsführer der Moschinski Consult GbR in Main.